Atme, es könnte dein Leben retten
Atemübungen für den Alltag:
Sie hält uns am Leben. Und trotzdem verlieren wir kaum ein Wort über sie.
Schluss damit. Ich finde die Atmung hat dringend eine Liebeserklärung verdient. Hier ist meine.
Wir tun es Tag und Nacht. Ohne darüber nachzudenken. Es passiert einfach und hält uns am Leben. Atmen. Etwa 12 mal pro Minute, das macht 17 280 Atemzüge pro Tag. Die Atmung begleitet uns ständig. Ein und Aus. Ein permanenter Austausch zwischen außen und innen. Sie ist essentiell um deinen Körper mit neuem Sauerstoff zu versorgen und Kohlendioxid als Abfallstoff nach außen abzugeben. Im Yoga spricht man außerdem von der Aufnahme von Prana, der Lebensenergie. Die meiste Zeit denken wir kaum über die Atmung nach. Und trotzdem wird sie unterbewusst von dir beeinflusst – wahrscheinlich viel stärker als du denkst. Genauso kannst du sie bewusst steuern und kontrollieren, was sich sowohl auf deinen Körper als auch auf Psyche und Geist auswirkt. Genau darum geht es im Yoga. Und genau deshalb ist Pranayama ein so wichtiger Teil, dem du viel mehr Aufmerksamkeit schenken solltest.
Darum ist die Atmung so wichtig
Rein physisch nimmst du mit Hilfe der Atmung Sauerstoff auf. Diesen wiederum braucht jede deiner Körperzelle um lebenswichtige Vorgänge aufrecht zu erhalten. Damit dein Organismus lebensfähig ist, benötigt er Energie, die er gewinnt, in dem er Nahrung aufspaltet. Und für diesen Prozess benötigt er Sauerstoff. Fehlt es an Sauerstoff funktioniert die Energiebereitstellung nicht mehr richtig, was dazu führt, dass du dich müde und schlapp fühlst. Tief durchatmen – am besten an der frischen Luft – kann deshalb helfen, dich aufzuwecken und dir einen Energieschub zu verpassen. Im Yoga kommt noch ein zweiter Punkt hinzu. Durch die Einatmung geht man nicht nur davon aus, dass Sauerstoff aufgenommen wird, sondern auch Prana, die Lebensenergie. Das, was physisch passiert, ist von der energetischen Vorstellung damit gar nicht so weit entfernt. Ganz im Gegenteil: Was Prana – und auch Pranayama – auszeichnet, ist das Bewusstsein für die Atmung und den Atemvorgang. Der Fokus liegt ganz im Hier und Jetzt. Weil du weder voratmen noch verpasste Atmenzüge nachholen kannst. Und dieses Bewusstsein kannst du lernen.
Wirkung von Pranayama
„Die stetige Praxis von Pranayama verringert Blockaden im Geist, die uns an einer klaren Wahrnehmung hindern.“ So schreibt es Patanjali im Yoga Sutra 2.52. Bei Pranayama geht es nämlich um viel mehr als nur um die Versorgung mit Sauerstoff. Es geht um die bewusste Atemkontrolle, die helfen soll, die Lebensenergie zu aktivieren und alles am Fließen zu halten. So, dass alle Zellen genug Sauerstoff haben. Wenn die Versorgung deines gesamten Organismus sichergestellt ist, kann sich das Gefühl von Ruhe und Ausgeglichenheit viel leichter ausbreiten. Um es verständlicher zu machen, kannst du dir die Atmung als Spiegelbild deines seelischen und geistigen Zustandes vorstellen. Deine Atmung reagiert auf Gefühlszustände wie Stress und Angst. In solchen Situationen atmest du schneller und flacher. Sie nehmen dir geradezu den Atem und damit wichtige Energie. Was hilft: Tief und bewusst durchzuatmen. Du fühlst dich klarer, dein Gehirn wird mit mehr Sauerstoff versorgt und die Überforderung in deinem Körper reduziert sich.
Genauso wie diese emotionalen Stresssituationen sich negativ auf deine Atmung auswirken, kannst du die Atmung nutzen, um Spannungen zu lösen und deinen Körper resistenter zu machen. Die Atemkontrolle, wie sie bei der Pranayama-Praxis geübt wird, wirkt beruhigend und ausgleichend, kann Ängst lindern und schärft dein Körperbewusstsein. Das liegt vor allem an der engen Verbindung mit dem vegetativen Nervensystem. Dabei ist der Sympathikus, also der aktivierende Spannungsnerv, mehr an die Einatmung und der Parasympathikus, der beruhigende Entspannungsnerv, mehr an die Ausatmung gekoppelt. Gerade in Stresssituationen hilft es deshalb vor allem die Ausatmung zu vertiefen.Und das wirkt sich sogar positiv auf dein Immunsystem aus.
Pranayama: Die Bedeutung der Atmung im Yoga
Pranayana, also der Umgang mit der Atmung, ist nach Yama, Niyama und Asana die vierte Disziplin des achtgliedrigen Pfades, den Patanjali im Yoga Sutra beschreibt. Wörtlich übersetzt bedeutet Pranayama so viel wie die Ausdehnung (= Ayama) des Prana, also der universellen Lebensenergie. Dabei geht es darum Prana, also die Energie, die Leben und Vitalität verleiht, durch den Körper fließen zu lassen, um so den Geist zur Ruhe zu bringen. Pranayama wird dabei immer in einem bewussten, kontrolliertem Zustand ausgeführt. Für diese Atemkontrolle werden verschiedene Pranayama Techniken verwendet, die du weiter unten kennen lernst.
Geht es um die Yoga Praxis schreibt Patanjali „prayatna-śaithilya-ananta-samāpatti-bhyām“ (Yoga Sutra, 2,47), „Zum Meistern einer Stellung braucht es das Lösen der Spannung und die Meditation durch das Endlose.“ Das ist nur eine mögliche Übersetzung, kann sich aber so auch auf die Atmung beziehen. Loszulassen und gelöst zu bleiben ist grundlegend um Körper und Geist in Einklang zu bringen. Im Umkehrschluss hemmt Anstrengung diesen Prozess. Erst dadurch kann man die Ausdehnung ins Grenzenlose (= anata) erfahren. Um diese bewusste Ausdehnung geht es eben auch bei der Atmung. Die Atmung ist ein Mittel um zu Lösen und Loszulassen und gleichzeitig sowohl physisch als auch mental Ausdehnung zu erfahren. Weiter schreibt Patanjali, dass durch diese Praxis die Dualität von Poliaritäten überwunden werden kann. So gegensätzlich wie Ein- und Ausatmung auch sind. Sie sind ein Beweis dafür, dass Gegensätze sich nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen, da sie nur zusammen existieren können. Die Atmung verbindet beides. Die Atmung verbindet das Äußere mit dem Inneren, verbindet Körper, Geist und Seele. Das macht Pranayama zu einem essentiellen Bestandteil von Yoga.
Selbst wenn du nicht an Prana glaubst, kannst du es erst einmal mit der Sauerstoffaufnahme gleichsetzen. Mehr Sauerstoff bedeutet mehr Energie. Und mehr Energie stärkt deinen Körper und macht ihn leistungsfähiger. Worauf wartest du also, hier kommen Atemübungen, die du sofort ausprobieren kannst.
Diese Atemübungen solltest du kennen
Bei Pranayama geht es um die Kontrolle des Atems, die hilft mehr Energie bereitzustellen. Ganz egal ob in Form von Sauerstoff oder Prana, es soll deinen Körper stärken. Dabei gibt es verschiedene Atemübungen, die dieses Ziel verfolgen. Generell teilt man die Atmung in verschiedene Phasen.
- Einatmen = Puraka
- Anhalten mit gefüllten Lungen = Antar Kumbhaka
- Ausatmen = Rechaka (wörtlich: Entleeren)
- Anhalten mit leeren Lungen = Bahir Kumbhaka
Ujjayi: Die Yoga Grundatmung
Die wichtigste Yoga Atmung ist die Ujjayi-Atmung, die aufgrund des sanften Rauschens, das sie in der Kehle erzeugt, auch ozeanische Atmung genannt wird. Übersetzt bedeutet Ujjayi soviel wie „glorreich“. Sie begleitet dich die komplette Praxis und hilft dir dabei das Gefühl des Fließens zu verinnerlichen.
Samavritti Pranayama
Samavritti bedeutet „gleichverteiltes Atmen“ und ist die einfachste Pranayama Technik. Dabei werden Aus- und Einatmung im Gleichklang gehalten. Samavritti Pranayama kann sowohl mit als auch ohne Atempause praktiziert werden, die sowohl nach dem Ein- als auch nach dem Ausatmen gesetzt werden kann. Charakteristisch ist die Gleichmäßigkeit zwischen Ein- und Ausatmung, die ausgleichend wirkt und ein Gefühl von Balance vermittelt. Das Üben ist ganz einfach: Beginne die Atmung zu zählen. Vier Zählzeiten ein und vier Zählzeiten aus. Hast du das Gefühl du kannst noch länger ein- und ausatmen verlängerst du es einfach.
Nadi Shodhana – Wechselatmung
In Sanskrit bedeutet „Nadi“ Röhre und „Shodhana“ reinigen. So soll die Wechselatmung das große Netz der Nadis (= Energiekanäle) als Reinigungsritual in Balance bringen und den Energiefluss anregen. Dafür wird abwechselnd durch das linke und das rechte Nasenloch ein- beziehungsweise ausgeatmet. Um diese Praxis auszuführen werden die Nasenlöcher im Wechsel zugehalten. Dafür positionierst du den Zeigefinger deiner rechten Hand auf der Stelle zwischen deinen Augenbrauen, sodass du mit dem Daumen das rechte und mit dem Mittelfinger das linke Nasenloch zuhalten kannst. Alternativ kannst du auch Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand einklappen und dann den Daumen auf deinen rechten, den Ringfinger auf deinen linken Nasenflügel legen. Bevor du beginnst atmest du einmal vollständig ein und aus. Wichtig ist, dass du immer zuerst durch das linke Nasenloch einatmest.
- Durch das linke Nasenloch einatmen, das rechte mit dem Daumen verschließen.
- Beide Nasenlöcher schließen, eventuell kurz halten.
- Das recht Nasenloch öffnen und ausatmen.
- Durch das rechte Nasenloch einatmen.
- Beide Nasenlöcher schließen, eventuell kurz halten.
- Durch das linke Nasenloch ausatmen.
So atmest du weiter. Auch hier kannst du Phasen von Kumbhaka, also dem Anhalten der Atmung, sowohl nach der Einatmung als auch nach der Ausatmung einfügen. Und wieder hilft es zu zählen. Vier Mal ein, vier Mal aus.
Bhramari Pranayama
Der Summton, der während der Ausatmung bei dieser Pranayama Technik erzeugt wird, erinnert an das Summen einer Biene. Genau dieser Ton wirkt besonders beruhigend, auch wenn sich die meisten anfangs etwas komisch vorkommen und es eine Weile dauern kann, bis du deinen eigenen Ton gefunden hat. Die Vibration, die das Summen in deinem Körper auslöst, kann die Durchblutung deines Gewebes anregen und dadurch ein angenehmes Kribbeln sowie ein Gefühl wohliger Wärme auslösen. Bhramari kannst du sowohl im Sitzen als auch im Liegen praktizieren. Atme dafür ein und mit einem leisen Summton aus. Zusätzlich kannst du ach das Shanmukhi-Mudra nutzen. Dafür führst du deine Hände zum Gesicht, positionierst die Ellbogen auf Schulterhöhe, verschließt mit den Daumen die Ohren und legst Zeige- und Mittelfinger über deine Augenlider. Gleichzeitig werden die Nasenflügel mit Hilfe der Ringfinger-Kuppen verschlossen, die kleinen Finger liegen auf Oberlippe, sodass du den Atemstrom spürst.
Kapalabhati - Die Feueratmung
Kapalabhati wirkt stark aktivierend, anregend und entgiftend. Sie soll dir nicht nur Energie schenken, sondern auch den Geist klarer werden lassen, da innerhalb kürzester Zeit dein Körper mit extrem viel Sauerstoff versorgt wird. Aus diesem Grund wird sie auch als Feueratmung oder Schädelleuchten bezeichnet. Bei dieser Atemtechnik liegt der Fokus auf der starken, kraftvollen Ausatmung, die Einatmung erfolgt automatisch. Kapalabhati kostet gerade anfangs viel Übung und kann ein leichtes Gefühl von Schwindel mit sich bringen. Die regelmäßige Pranayama Praxis wird es dir aber schnell leichter machen. Gleichzeitig trainierst du deine Atemhilfsmuskulatur und stärkst deine Bauchmuskulatur.
Um zu beginnen atme einmal tief ein und aus, dann nur noch zu etwa zwei Drittel ein, um dann stoßweise durch die Nase auszuatmen, während sich deine Bauchdecke, beziehungsweise das Zwechfell, stark nach innen zieht. Die Einatmung kommt während der Ausatemstöße von ganz alleine. Wiederhole das kraftvolle Ausatmen etwa 20 bis 50 Mal. Beim letzten Mal lässt du alle Luft aus deiner Lunge entweichen und kannst kurz anhalten bevor du weiter atmest. Die Geschwindigkeit, in der du Kapalabhati übst, lässt sich mit mehr Pranayama Praxis steigern. Diese Atemtechnik solltest du in einem aufrechten Sitz üben.
Viloma Pranayama
„Loma“ bedeutet übersetzt „Haar“ und „vi“ als Silbe steht für „Trennung oder Vereinigung“. Die wörtliche Übersetzung „gegen das Haar“ ist erst einmal verwirrend, soll aber so viel wie ‚gegen die natürliche Ordnung“ bedeuten. Ein- und Ausatmung werden von mehreren Pausen unterbrochen. Während einer Phase des Einatmens legst du immer wieder kleine Pausen von zwei bis drei Sekunden ein, sodass sich die gesamte Einatmung ausdehnt. Du kannst dir das wie eine Leiter vorstellen, die du weiter erklimmst. Das gleiche Prinzip lässt sich auf die Ausatmung anwenden und beliebig kombinieren.
- Unterbrochene Eiatmung, normale Ausatmung.
- Normale Einatmung, unterbrochene Ausatmung.
- Unterbrochene Einatmung und unterbrochene Ausatmung.
Zwischen Ein- und Ausatmung kannst du bei steigender Praxis Phasen des Anhaltens einbauen.
Atme, es könnte dein Leben retten
Ein ernst gemeinter Ratschlag. Natürlich hörst du nicht einfach auf zu Atmen. Dafür ist dein Körper viel zu sehr fokussiert, dich am Leben zu halten. Sich Zeit für die Atmung zu nehmen und bewusster zu atmen, geht jedoch viel tiefer. Es kann Stress reduzieren, dein Atemvolumen bei regelmäßiger Praxis vergrößern, dein Immunsystem pushen und dich stärker machen. Nicht nur körperlich, sondern vor allem mental. Wenn du Atmest zählt nur das Hier und Jetzt. Du wirst den Moment viel bewusster wahrnehmen. Und oft ist es genau das, was wir verlernt haben.